Kleine persönliche Abhandlung zu meinem "Realismus"
von Elisabeth Störmer-Hemmelgarn.

Studium in Berlin 1968. Die Ausbildung an der Kunstschule war dabei, sich radikal zu verändern. Erlernen von Techniken war verpönt, es sei denn, es wurde "gesellschaftsrelevant" und "Projekt orientiert" eingesetzt. Ästhetik: nicht wichtig!

Agitierende Studenten Stoßtrupps im Akt Saal: "Kannst Du mir bitte erklären, inwieweit das, was Du hier tust, relevant für die Arbeiterklasse ist?" Konnte ich nicht. Ich wollte einfach erst einmal nur lernen.

Trotz aller Irritationen das Studium mit zusammen gebissenen Zähnen und Examen abgeschlossen, denn eines hatte ich dank meiner strengen Erziehung gelernt: "Was man begonnen hat, bringt man auch zu Ende!"

Aber, WAS NUN? Ich war mir sehr sicher, dass ich mit Malerei den Ansprüchen eines neuen sozialen Bedürfnisses nach Gesellschaftsrelevanz nicht gerecht werden könnte. Das Ziel schien mir viel zu hoch gehängt, und ich dachte, ich habe Nichts zu bieten, was diesem äußeren und inneren Anspruch gerecht werden würde. Zeichnen und Gestalten wurde frustriert ad acta gelegt.

Ausweg: Nach kurzer Bedenk Pause ein "Aufbaustudium" für Kunsterziehung ! 1. und 2. Staatsexamen, obwohl sich schon abzeichnete, dass das eigentlich auch nicht das Gelbe vom Ei für mich sein würde. Aber: "Was man anfängt."Aber mir fehlte was. Ich träumte nach wie vor vom Malen.

Ein mir zugewandter Kollege, Rolf Sturm, hat in der Zeit einmal sehr ernsthaft zu mir gesagt: "Pack Deine Träume ein, denn solange Du nicht brennst, brauchst Du damit gar nicht erst anzufangen." Und plötzlich war es soweit: Ganz langsam und zaghaft fing ich wieder an zu zeichnen, dann zu malen und .. fing endlich Feuer! Nach 4 Jahren Schuldienst ließ ich mich zunächst für ein Jahr beurlauben um die Kunst auszuprobieren, und schon nach einem halben Jahr später war klar, ich musste mein warmes Beamtenmäntelchen an den Nagel hängen! Ich konnte schon immer nur einer Sache konzentriert ganz und gar gerecht werden. Also ging die Erfüllung meiner Träume auf gar keinen Fall parallel zum Schuldienst. So entschied ich mich wild entschlossen ins kalte Wasser der freien Malerei zu springen. Ich hatte Glück, es hat funktioniert.

Ich habe mich ab da konsequent dem Realismus verpflichtet gefühlt. Es gibt bekanntermaßen viele Definitionen, was unter Realismus in der Kunst zu verstehen sei, und die Diskussion reißt noch immer nicht ab. MEINE Idee dabei beruht auf MEINEM Prinzip, dass das was meine äußeren Augen sehen, durch meine inneren Augen entsprechend gefiltert wird, wenn es meine Seele nachhaltig berührt. Daraus entstehen dann Bilder in Kopf und Bauch, die ich für andere Menschen sichtbar und nachvollziehbar mit Pinsel, Stift und Farbe zum Ausdruck bringen kann. Es werden nie Abbilder des Gesehenen: MEINE subjektive Wahrnehmung MEINER MICH umgebenden Wirklichkeit spielt dabei die Hauptrolle und nur ich bestimme letztlich, welche Metaphern ich finde und wähle, um Gesehenes, Erlebtes umzusetzen und darzustellen.

Ich gehe mit offenen Augen und Ohren durch diese meine Welt. An Motiven, die Schwingungen in Herz, Hirn und Bauch erzeugen, mangelt es für mich wahrlich nicht. Vieles bleibt im Dämmer einer Warteschleife, wird nicht bearbeitet, versackt im Untergrund meines Bewusstseins. Die Erinnerung an Gesehenes muss mich so brennend interessieren, dass es längere Zeit überdauert, vielleicht mit einem parallelen Gedanken verschmilzt und dann wieder an die Oberfläche drängt. Dann platzt irgendwann der Knoten, und ich sehe das Bild innerlich vor mir. Ich brauche viel Zeit für Alles, was ich tue, und ich lasse mich dann auch von Nichts und Niemandem mehr verunsichern oder mir reinreden!

Vor einiger Zeit hatte ich Besuch von einem Stadt bekannten Museumsdirektor, der sich meine Arbeiten ansehen wollte unter dem Aspekt einer eventuell in Frage kommenden Schenkung. Unvermittelt stellte er fast unwirsch die Frage: "Sagen Sie, haben Sie eigentlich jemals ein Verzweiflungsbild gemalt?" Ich hatte ihm gerade einen Querschnitt von für mich typischen Motiven gezeigt: Verrottende Bauwerke, zerstörte Natur, bedrohliche Wettersituationen, tote Vögel und andere Lebewesen. Er war offensichtlich außer Stande oder einfach unwillig, sich auf meine eher leisen Töne einzulassen, sie zu akzeptieren. Vielleicht war ihm auch einfach nur die Ausführung zu ästhetisch, denn er war in seinem Museum ein überzeugter Vertreter der abstrakten Moderne, die sich um die Schönheit eines Werkes kaum mehr bemüht. Realistische Malerei ? Gerne aus der Vergangenheit, ansonsten überlässt man diese Themen besser der Fotografie. Es kam zu keiner Schenkung.

Diese von ihm wohl bewusst eingesetzte Arroganz des allseits bekannten und verdächtigen Triumvirats von Museumsleuten, Kunstkritikern und Galeristen ist der scheinbar unüberwindbare Machtfaktor auf dem Kunstmarkt der Eitelkeiten, ausübt durch Vertreter, die nach Anerkennung ihrer Kompetenzen gieren, nach immer Neuem, angeblich nie Dagewesenem suchen und auf die schnelle Bedienung potenter Geldgeber abzielen. SIE bestimmen, was und wie Kunst zu sein hat. Ich glaube, keiner von den Verantwortlichen fühlt sich wirklich dem Publikum verpflichtet.

Ich habe mehrere geführte Kunstreisen an sehr spannende Orte gemacht. Die Gruppen bestanden jeweils aus hoch gebildeten Menschen, die aber immer wieder ratlos und auf Erklärungshilfe angewiesen vor Kunstwerken verharrten. Die Einhilfen des jeweiligen Reisebegleiters erlaubten zwar AHA-Erlebnisse, waren aber auch ein Beweis dafür, dass sich zeitgenössische Kunstwerke immer häufiger dem Verständnis eines "Normalverbrauchers" entziehen. Warum, frage ich mich immer wieder irritiert, muss das so sein? Kunst, die nur zu verstehen ist, wenn einige Eingeweihte dazu Erklärungen abgeben müssen, spaltet die Betrachter in ein "Oben" und ein "Unten".

Auch in der Erziehung wird der Sektor Kunst immer mehr vernachlässigt. Kein Geld, heißt es! Damit sind die Voraussetzungen, den Stellenwert von Kunst für unsere Kultur schätzen zu lernen weiter gefährdet. Der Bildungsauftrag bleibt auf der Strecke. Die Schere zwischen "Wissenden" und "Unwissenden" wird immer weiter auseinander driften. Diese Entwicklung ist fatal, denn so geht eine Kultur über Kurz oder Lang zu Grunde!

In den 1970ern, als einige von uns gegen alle Widerstände versucht haben Techniken zu lernen und die Ästhetik zu retten, wurden wir gerne mit dem Begriff des "l'art pour l'art" herabgewürdigt . Kunst um der Kunst willen trifft nach meinem Verständnis um ein Vieles mehr auf unverständliche Museumslieblinge der Neuzeit zu.

Abe unsere Chance als Gegenpol liegt nicht im Lamentieren, dass uns ja keiner mehr mag! Wir müssen weiterhin mit Überzeugung UNSERE Ziele verfolgen! Seien wir weiterhin selbstbewusst!

Wir überzeugen nur durch Hartnäckigkeit und Qualität. Glaubwürdig bleiben wir nur, wenn wir uns nicht ins Bockshorn jagen lassen, dass wir ewig gestrig seien, nur weil wir alte Werte hoch halten. Es gibt uns als eine lebendige, vielfältige Facette im reichhaltigen Kunstgeschehen mit der überzeugenden Berechtigung, dass wir gewünscht und verstanden werden von einem Publikum, das uns in Museen sucht und sich auch im günstigsten Fall gerne mit unserer Kunst in den eigenen 4 Wänden umgibt. Nicht jeder muss alles mögen, was wir machen, denn nicht alles ist leicht verdaulich. Aber man bescheinigt uns in der Regel großes technisches Können und oft auch die Fähigkeit, treffend Einblick in menschliche Seelenzustände zu gewähren, auch wenn wir nicht immer den Finger direkt in die Wunde legen. Was wir zeigen, wird meistens verstanden und rührt Viele an. Das ist mehr, als diverse andere Stilrichtungen von sich behaupten können. Ringen wir weiter um Wahrhaftigkeit. Unser Erfolg liegt darin, dass unsere Ansprüche sehr oft auch im Auge des Betrachters ein Echo finden!

Ich bin jedenfalls weiterhin bereit, den Realismus meiner Fasson als Kommunikationsmöglichkeit zwischen mir und Anderen, Betrachtern, Kollegen, Kritikern, Jungen und Alten, Wissenden und Nichtwissenden zu nutzen. Bleiben wir offen für Gespräche außerhalb des Elfenbeinturms!

Ich will meinen "Missionsgedanken" jedenfalls nicht aufgeben, dass Kunst am liebsten für alle da sein sollte und auch etwas bewirken kann, wenn man den mündigen Betrachter mit einbezieht. Ich wünschte mir, dass das bewusste Sehen des Wesentlichen, das Entdecken der Ruhepole in der Bilderflut der Mediengesellschaft wieder neu gelernt werden könnte, um Kräfte sammeln zu können für das, was noch und immer wieder bewältigt werden muss. Kunst kann Bewusstsein fördern sich darüber klar zu werden, was wir an unserer Welt haben, auch wenn nicht jeder ein Künstler sein kann.



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Einführung in die Ausstellung:
"Bilder von Gedeih und Verderb - 20 Jahre Malerei"
von Elisabeth Störmer- Hemmelgarn.
Stiftung Overbeck im KITO, Bremen- Vegesack.
3. November 2001
von Edda Bosse